Ich bin 23 Jahre alt. Ich habe in Syrien Bankwesen studiert. Im 2. Semester habe ich dann abgebrochen, ich bin nicht fertig geworden. Ich habe während des Krieges studiert. Ich komme aus Homs, aus Al-Rastan. In meiner Stadt gab es sehr viele Soldaten. Die haben sich von der Armee freigemacht und die Freie Armee gegründet. Darum waren wir für das Regime ein rotes Tuch. Durch die Stadt, die auf meinem Ausweis steht, habe ich immer sehr viele Probleme bekommen. Es gab viele Explosionen, Bomben. Ich konnte nicht mehr dort leben. Deswegen sind wir in eine andere Stadt gezogen, nach Damaskus. Auch dieser Ort wurde bombardiert, Granaten, Raketen von oben. Als wir noch in meiner Heimat waren, ist mein älterer Onkel umgebracht worden, er wurde am Kopf getroffen.
Als wir nach Damaskus gingen, wurde es auch bombardiert, dann sind wir wieder weiter. Wir gingen in ein Dorf. In dieser Zeit war in Al-Rastan noch mein älterer Onkel. Er wurde, als er aus dem Fenster schaute, von einer Kugel getroffen. Meine beiden Onkel hatten natürlich auch Familie, Kinder. Der jüngere hatte, als er gestorben ist, ein sechs Monate altes Kind; der andere hatte vier Kinder. Er hat als Lastenfahrer gearbeitet. Immer wenn die Kinder ein Auto gesehen haben, sind die Kinder rausgelaufen und haben gerufen „Papa, Papa“, aber da war keiner. Wir wurden eines Tages von Soldaten der Regierung überfallen. Sie brachen bei uns ein, sie haben alles zerstört, sie haben meinen Vater mitgenommen, ihm Handschellen angelegt, obwohl mein Vater nie etwas mit der Politik zu tun hatte. Sie nahmen meinen Vater nur mit, weil unser Nachbar früher ein Soldat war und er hatte noch eine alte Uniform bei sich in der Wohnung. Nur wegen dieser Uniform hat die Regierung gesagt, wir hätten etwas damit zu tun. Sie haben meinen Vater beschimpft, meine Mutter, obwohl wir nichts damit zu tun hatten. Sie haben die Menschen in einer Reihe, auch meinen Vater, aufgestellt und fragten nach den Ausweisen. Mein Vater sagte, er hätte den Ausweis schon gegeben, denn hätten sie die Stadt auf dem Ausweis gelesen, hätten sie ihn gleich mitgenommen.
Danach wurden wir wieder angegriffen, da war wieder eine Explosion. Wir mussten wieder fliehen. Das ist alles 2013passiert. Als wir das Dorf wieder verlassen mussten, sind wir in den Süden von Idlib gegangen, in ein Dorf. Dort blieben wir nur einen Monat. Dort kamen plötzlich sechs Flugzeuge und warfen Streubomben auf uns. Wir versteckten uns unter der Erde. Danach sah man die Menschen verletzt, tot, voller Wunden, überall war Blut. Wir hielten es nicht mehr aus. Wir sind mit einem Auto in eine andere Stadt gefahren. Auf dem Weg dorthin war ein Kontrollstützpunkt der Regierung. Wir stiegen aus den Autos aus. Sie sagten: steigt aus, wir werden euch alle umbringen, wir werden euch vergewaltigen und alles Schreckliche. Wir waren drei Frauen, mein Bruder, mein Vater. Sie sagten, wir seien Terroristen und Unruhestifter und sie müssten uns umbringen. Dort gab es noch einen Soldaten: „Komm, bei denen merkt man, dass sie nichts damit zu tun haben, lasst sie.“ Als wir nämlich auf dem Weg zum Stützpunkt waren, gab es so einen Stützpunkt aus Sand, den wir durchbrochen hatten, aber das hatten wir nicht bemerkt. Wir waren vier Familien. Wir hatten Angst. Wir stiegen aus und gingen nach Hama. Als die Soldaten vom ersten Stützpunkt uns ankommen sahen, sagte er uns: Was habt ihr angestellt? Ihr seid alle gelb im Gesicht. Wir sind nur müde von der Reise.
Wir sind nach Hama gegangen. Dort war meine Schwester, sie ist verheiratet und wir konnten zu ihr. Zu dieser Zeit hatte ich gerade mein Abitur und ich habe mich an einer Uni eingeschrieben. Ein bestimmter Platz in Hama wurde bombardiert und dadurch konnten wir unser Haus nicht verlassen und wir blieben in der Wohnung eingesperrt. Wir hatten Nachbarn dort. Sie waren ursprünglich aus Homs, sie wurden bombardiert. Von neun Leuten überlebte nur ein Kind. Hinter unserem Haus war ein Garten und da man das Haus nicht verlassen konnte, haben sie die Nachbarn dort vergraben. Nachdem sich die Lage beruhigt hat, haben sie die Leichen wieder aus der Erde rausgeholt und auf einem Friedhof begraben. Wir wurden dann durchsucht, das Haus wurde durchsucht, dann wurde es ruhiger. Ich studierte und war schon im 3. Jahr. Als ich im 2. Studienjahr war, 2015 war mein Vater schon in Deutschland. Er floh mit meinem Bruder. Wir schickten gerade meinen Bruder mit meinem Vater nach Deutschland, weil er viel größer und stärker aussah, als er war, und wir fürchteten, dass er zur Armee eingezogen werden würde. Sie brauchten 25 Tage für den Weg. In dieser Zeit kümmerten wir uns um unsere Dokumente, die wir für die Familienzusammenführung brauchen würden. Der Termin kam. Wir mussten von Hama nach Idlib, in die Türkei und das alles mit jemandem, dem wir Geld dafür gegeben haben.
Am Verbindungspunkt zwischen Hama und Idlib gab es noch einen letzten Stützpunkt des Regimes. Als diese Soldaten unsere Ausweise sahen und besonders unseren Geburtsort, hielten sie uns fest und beleidigten uns. Sie brachten uns in ein Zimmer neben dem Stützpunkt, 1m² groß. Sie verhörten uns dort. Ich war dort, meine Mutter und meine 2 Schwestern. Sie fragten: Wollt ihr in die Türkei? Und wenn die Regierung herausfindet, dass man in die Türkei möchte, ist das eine wirklich Katastrophe. Wir sagten also nein, wir mussten lügen. Wir sagten, wir wollten einfach nur zu meiner Schwester. Wir sagten, wir haben auch gar kein Geld für die Reise. Wir hatten zu der Zeit nur 800 Dollar bei uns gehabt. Sie schickten eine, die uns durchsuchte und in meinem Handy herumschnüffelte. Sie haben nichts respektiert, meine Bilder angeschaut, wo ich kein Kopftuch trage, von meinen Schwestern. Bald wird eine kommen, die euch durchsuchen wird, zieht euch aus, sagten sie. Wir hatten unser Geld an der Untersohle der Schuhe versteckt. Wir haben ihnen die 800 Dollar gegeben. Sie machen alles nur, damit sie Geld bekommen. Sie bedrohten uns natürlich, sie sagten, wir werden euch einsperren und foltern euch, alles nur, um Geld zu kommen. Wir haben sie angefleht, weil wir Mädchen sind und gesagt, wir wollen nicht ins Gefängnis. Nachdem wir ihm das Geld gegeben haben, sagte er: „Kommt haut ab“. Da kam ein anderes Auto mit einem Soldaten und er sagte: Komm, nimm sie mit zu ihrer Schwester. Wir kamen dann an einen Stützpunkt der Freien Armee und haben uns versucht zu beruhigen. Wir sagten, wir wollen nichts, wir wollen nur ein Auto, das uns zu meinem Onkel bringt, der an der Grenze wohnte. Wir kamen bei meinem Onkel an, blieben bei ihm zehn Tage und von dort sind wir dann in die Türkei.
Von meinem Onkel aus beauftragten wir einen Schlepper, der uns in die Nähe der Türkei brachte. In der Region zwischen Syrien und der Türkei blieben wir 20 Tage. Wir verloren dort sehr viel Kraft, es war eine schwere Zeit, denn wir haben immer wieder versucht zu fliehen, es hat nicht geklappt, dann wieder zurück. Wir ermüdeten in diesen Tagen. Zuletzt haben wir es geschafft. Wir liefen neun Stunden über Berge. Dort haben wir drei Monate auf die Visa warten müssen. Meine kleine Schwester und meine Mutter bekamen die Visa, ich und meine andere Schwester nicht, weil wir schon über 18waren. Das Ganze ging sieben Monate lang hin und her. Danach engagierten wir einen Schleuser von der Türkei nach Griechenland. Der Weg war richtig schrecklich dorthin. Wir haben drei Tage gebraucht, wir haben in Wäldern geschlafen, inmitten von Insekten. Ich habe auf der griechischen Insel für einen Bus gesorgt, weil ich ein bisschen Englisch konnte. In Athen angekommen mussten wir wieder einen Schlepper engagieren. Dieser Schlepper gab uns dann Ausweise, auf denen Fotos waren, die uns sehr ähnlich sahen, sodass wir mit dem Flugzeug nach Deutschland kommen konnten.
In Deutschland angekommen sah ich meinen Bruder und meinen Vater nach drei Jahren endlich wieder. Das Wiedersehen war sehr emotional, wir weinten, es war sehr bewegend. Wir verließen unsere Heimat und haben uns für Deutschland entschieden, wegen der Bildung. Ich bin hier nicht hingekommen, um hier etwas auszunutzen, sondern weil ich meine Heimat wegen des Krieges verlassen musste. Ich will mein Studium weiterführen und im Finanzwesen arbeiten. Ich will ein gutes Vorbild werden in Deutschland, ich will für mein Geld arbeiten, nicht so wie jetzt. Ich will nicht, dass mein Geld von der Anstrengung anderer kommt. Ich möchte gerne die Sprache hier sehr gut lernen. Ich bin jetzt acht Monate in Deutschland, ich bin schon einen Sprachkurs weiter gekommen. Ich will mein eigenes Geld verdienen, und ich lerne auch sehr viel. Ich habe das Gefühl, dass ich sehr viel Zeit meines Lebens verloren habe. Wahrscheinlich waren die vier letzten Jahre meines Lebens so, dass ich mich auf nichts konzentrieren konnte, in denen ich nichts erreichen konnte. Ich kann nicht einfach da sitzen und nichts machen. Das passt nicht zu meiner Person. Ich möchte meine Fähigkeiten nutzen. Natürlich werde ich sobald ich soweit bin, sobald ich fähig bin, Deutschland das zurückzugeben, was es mir gegeben hat. Denn Deutschland hat mich umarmt, als uns die arabischen Länder im Stich gelassen haben. Sie erlaubten uns nicht, in ihre Länder zu gehen, und Deutschland öffnete uns seine Türen und gibt uns Bildung und fragt uns nicht nach unserer Religion. Ich werde alles daransetzen, um eine gute und vorbildliche deutsche Bürgerin zu werden. Das Allerschönste, was mir passiert ist, ist, dass ich mit meiner ganzen Familie zusammenlebe. Nur die jüngste Schwester fehlt noch. Ich wünsche mir, dass ein Wunder passiert, und sie noch hierhin kommt. Mir geht es gut, nachdem ich es erzählt habe. Ich bin erleichtert. Die Menschen müssen wissen, was in Syrien passiert. Ich verlor viele Menschen dabei, meine Onkel, sie waren mir sehr wichtig.
Name des Geschichtenerzählers: Anonym
Name des Interviewers: Sarah Dudek und Sarah El Desoke
Herkunftsland: Syrien
Geschlecht: w
Alter: 23<